Was ist FASD?

FASD als Abkürzung für die Fetalen Alkoholspektrumstörungen ist aus dem englischsprachigen übernommen und steht für Fetale Alcohol Spectrum Disorder. FASD als Begrifflichkeit stellt keine Diagnose sondern einen Sammelbegriff dar, der sich bildlich gesprochen wie ein Regelschirm über die einzelnen Ausprägungsformen spannt. Zu den Fetalen Alkoholspektrumstörungen gehören:

  • das Fetale Alkoholsyndrom (FAS, engl. Fetal Alcohol Syndrom)
  • das Partielle Fetale Alkoholsyndrom (Pfas, engl. Partial Fetal Alcohol Syndrome)
  • die Alkoholbedingte Entwicklungsneurologische Störung (ARND, engl. Alcohol Related Neurodevelopmental Disorder)

Der Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft, also die intrauterine Alkoholexposition, kann zu irreversiblen toxischen Schädigungen des ungeborenen Kindes führen und erhebliche, lebenslängliche Auswirkungen haben. Hierzu zählen Beeinträchtigungen des körperlichen Wachstums, der Organbildung und vor allem entscheidende Fehlbildungen im Zentralen Nervensystem (ZNS). Es liegen dann Störungen wichtiger Hirneinheiten vor, die z.B. für Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen, sowie Planung, Ausführung und Kontrolle von Verhalten verantwortlich sind.

FASD als eine lebenslange Behinderung die mit einer Prävalenz von ca. 1% zu einer der häufigsten nicht genetischen Ursachen der Intelligenzminderung gehört, ist deutlich häufiger in der Gesamtbevölkerung vertreten als beispielsweise das Down Syndrom. Laut der ehemaligen Bundesdrogenbeauftragten Frau Marlene Mortler ist für Deutschland von ca. 1,5 Millionen Menschen auszugehen, die von FASD betroffen sind. Somit handelt es sich um die häufigste nicht angeborene Behinderung, die ungeachtet des Intelligenzniveaus in vielen Fällen durch die Teilhabebeeinträchtigungen mit einer geistigen Behinderung gleichzusetzen ist. Jährlich werden etwa 12.500 Kinder mit Fetalen Alkoholspektrumstörungen geboren. Die Dunkelziffer wird angesichts teils großer Schwierigkeiten bei der Diagnosestellung und unzureichender Aufklärung sowohl der Bevölkerung als auch auf Seiten von Fachkräften diese Zahlen noch überschreiten. FASD bleibt häufig unerkannt und wird immer noch nur wenig diagnostiziert.

Die mit der Behinderung einhergehenden Einschränkungen sind so gravierend, dass die Voraussetzung einer Schwerbehinderung gegeben ist. Die Spektrumstörung und ihre allumfassenden Auswirkungen auf das Individuum und das Umfeld sind ein komplexes weitreichendes Problem. Menschen mit FASD sind ihr Leben lang auf vielfältige Hilfen angewiesen, denn sie sind mit besonderen Herausforderungen und Hindernissen konfrontiert, welche sie auf Lebenszeit begleiten.

Inhaltsverzeichnis

FASD-Symptome

Viele Menschen mit FASD zeigen auf Grund der irreparablen Schädigung des Zentralen Nervensystems ein stark herausforderndes Verhalten. Die unterschiedlichen herausfordernden Verhaltensweisen werden in der Praxis als Symptome gehandelt. Bereits 1996 beschrieb das Institute of Medicine die Fetalen Alkoholspektrumstörungen als Oberbegriff für Syndromausprägungen die mit Verhaltensstörungen und kognitiven Einschränkungen einhergehen welche durch eine organische Hirnschädigung hervorgerufen, nicht durch Umwelteinflüsse oder sonstige genetische Komponenten erklärt werden können und bei denen die üblichen pädagogischen Interventionstechniken hinsichtlich der Verhaltenssymptomatiken kaum oder gar nicht greifen.

FASD als hirnorganisch-bedingte Beeinträchtigung hat Einfluss auf die Wahrnehmung, die Impulskontrolle sowie das Gedächtnis, welches wiederum das Verhalten des Individuums beeinflusst. Die bei FASD typischen Verhaltensstörungen sind also unter anderem das Resultat der Funktionsstörungen des Gehirns durch die intrauterine Alkoholexposition. Sie können in psychischen Behinderungen enden, die zum einen von dem Umfeld häufig übersehen oder ausschließlich „pädagogisch“ versucht beantwortet zu werden. Das Symptomspektrum der Fetalen Alkoholspektrumstörungen ist breit und reicht von offensichtlich fazialen oder physischen Stigmata bis hin zu – auf den ersten Blick – eher subtilen Verhaltensbesonderheiten, die zunächst Differentialdiagnosen wie Bindungsstörung, ADHS oder Autismus vermuten lassen. Die Schädigungen können also in sichtbare Symptome wie z.B.  Kleinwuchs, Untergewicht und Mikrocephalie als auch unsichtbare Merkmale wie Defizite in der Kognition, der Entwicklung und des Verhaltens unterteilt werden. Während optische Merkmale, die das Wachstum sowie das Gesicht betreffen, sich im Laufe der Entwicklung teilweise verwachsen, bleiben die Verhaltens- und Kognitionsdefizite ein Leben lang bestehen.

Ursachen & Auswirkungen von FASD

FASD entsteht durch den Alkoholkonsum der werdenden Mutter in der Schwangerschaft. Alkohol und seine Abbauprodukte schädigen Fötus und Embryo. Jegliche Menge sowie jede Art von Alkohol als Zellgift kann zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft bedrohlich für die Entwicklung des Kindes sein. Einen gesicherten Nachweis des „Alles-oder-Nichts-Prinzips“, also einer Zeit in der das ungeborene Leben trotz Alkoholkonsums nicht geschädigt wird oder abgeht, gibt es demnach nicht. Eine schädigungsfreie Trinkmenge oder protektive Faktoren, die die Entstehung der Behinderung trotz Alkoholkonsums verhindern können, sind nicht bekannt. Es gibt jedoch Co-Faktoren, die eine spätere FASD-Diagnose wahrscheinlich(er) machen.

Die Ursachen für mütterlichen Alkoholkonsum in der Schwangerschaft selbst sind vielfältig und setzt keine Suchtstrukturen oder eine Abhängigkeit voraus.

Auswirkungen von FASD auf das Individuum

Eine FASD-Ausprägung kann sich u.a. in der Entwicklung, der Kognition, im Verhalten sowie in Wachstumsauffälligkeiten und prägnante Gesichtsmerkmale zeigen. Durch eine behinderte Zellteilung in Folge der intrauterinen Alkoholexposition ist das Wachstum der Organe, und hier vor allem das des größten, dem Gehirn und des Zentrales Nervensystem betroffen. Insbesondere die gravierenden Einschränkungen der Hirnfunktion und ihre Folgen sind eine große Herausforderung für Menschen mit FASD sowie für ihr Umfeld. Die Beeinträchtigungen der Exekutiven Funktionen als Grundlage selbständiger Lebensführung gelten als das Kernproblem der Behinderung. In der Regel sind diese lebenslangen Beeinträchtigungen so schwerwiegend, dass die Voraussetzung einer Schwerbehinderung gegeben ist und das Individuum ein Leben lang auf vielfältige, flankierende Hilfen angewiesen ist.

Primäre und sekundäre Beeinträchtigungen

Zu beobachten ist, dass die FASD-Auswirkungen mit steigendem Lebensalter zunehmen. Für das bessere Verständnis dieses Phänomens ist es wichtig zwischen Primären und Sekundären Beeinträchtigungen zu unterscheiden. Als primär gelten all jene Auswirkungen, die unmittelbar und ursächlich auf den Alkohol zurückzuführen sind. Sie sind die angeborenen Merkmale, wie faziale Anomalien, Wachstumsauffälligkeiten und die Störung des Zentralen Nervensystems, welche wiederum Komorbiditäten mit sich bringen. Erfolgt eine späte bzw. keine Diagnose und/oder keine bzw. nicht die richtige Intervention,  können Sekundäre Beeinträchtigungen entstehen. 

FASD-Diagnose

Eine Diagnose sollte ausschließlich interdisziplinär in spezialisierten Fachzentren vorgenommen werden. Grundlage der Diagnostik ist die deutschsprachige S3-Leitlinie, nach der Kinder und Jugendliche diagnostisch erfasst werden. Gemäss der Leitlinie wird die Diagnose durch die Betrachtung von vier Merkmalsbereichen gestellt:

  1. die Wachstumsauffälligkeiten,
  2. die Facialen Auffälligkeiten,
  3. Dysfunktionen des Zentralen Nervensystems (ZNS) sowie
  4. die bestätigte oder nicht bestätigte intrauterine Alkoholexposition.

Jeder dieser Merkmalsbereiche umfasst eine Vielzahl unterschiedlichster Erscheinungen.

Nur ein kleiner Teil der Menschen mit FASD entwickelt das Vollbild, das Fetale Alkoholsyndrom (FAS). Ihnen ist ihre geistige Beeinträchtigung durch äußerliche Merkmale anzusehen. Viele andere Betroffene jedoch weisen keine äußerlichen Merkmale auf, haben aber nicht weniger schwerwiegende neuropsychologische und kognitive Einschränkungen. Daher ist eine Diagnose unabdingbar, um eine adäquate Unterstützung anbieten zu können. Nach den S-3-Leitlinien ist unter anderem eine Sozialanamnese nötig, welche wenn möglich interdisziplinär erfolgen sollte. Die Sozialanamnese beinhaltet wichtige Eckdaten über den zu diagnostizierenden Menschen; wie Information zu den Eltern, Schul-, und Vorbefunde, bereits besuchte Fördermaßnahmen, anderweitige Diagnosen etc. Nur wenn eine der Fetalen Alkoholspektrumstörungen diagnostiziert wird, können auf dieser Grundlage adäquate Hilfesysteme geschaffen werden. Umso früher eine Diagnose gestellt wird, desto früher kann eine angemessene Unterstützung in die Entwicklung des Individuums integriert werden.

Nicht jede:r Arzt/Ärztin kann eine Diagnose stellen. Es gibt nur wenige in Deutschland und die Wartezeiten sind in der Regel lang. Eine Diagnose für Erwachsenen gestaltet sich schwieriger als für Kinder und Jugendliche, da unter anderem noch weniger Ärzt:innen als in der Kinder- und Jugendmedizin die Diagnostik bei Erwachsenen durchführen .

FASD –Therapie

“Bisher gibt es keine einzige richtige Behandlung und wahrscheinlich wird es nie eine geben“

(Prof. Dr. Spohr 2014)

Eine klassische FASD-Therapie gibt es so nicht. Jeder Mensch mit FASD erlebt, auch aufgrund unterschiedlicher Lebensereignisse, verschiedene Herausforderungen, welche individuell betrachtet werden müssen. Auf Grundlage der Diagnose und einem differenzierten neuropsychologischen Profil können jedoch adäquate Hilfesysteme geschaffen werden. Hierzu können auch Psycho-, Ergo- und Physiotherapeutische Hilfen hinzugezogen werden. Zudem sind eine Pflegestufe sowie Sozial- und Heilpädagogische Fördermaßnahmen möglich.

Grundlegend bei allen Interventionsgedanken scheint jedoch die Grundhaltung der Betreuenden zu sein. Es gilt den eigenen Förderoptimismus zu überwinden und eine realistische Haltung auf die Behinderung, die Möglichkeiten und die Grenzen zu entwickeln. Wichtiger als das Ausschöpfen jedes Therapieansatzes scheint es zu sein, die hirnorganische Beeinträchtigung als Leitidee aller Interventionen zu sehen und die Behinderung als gegeben anzuerkennen. 

Literatur

Becker, Gela/Hennick, Klaus/ Klein, Michael (2015): Suchtgefährdete Erwachsene mit Fetalen Alkoholspektrumstörungen. Diagnostik, Screening Ansätze und Interventionsmöglichkeiten. Berlin: De Gruyter

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung (2017): Die Fetale-Alkoholspektrumstörung. Die wichtigsten Fragen für die sozialrechtliche Praxis. Berlin. Drogenbeauftragte der Bundesregierung 

Evangelisches Kinderheim Sonnenhof (1995): Fetale Alkohol-Spektrumstörungen. Verhaltensbesonderheiten. Berlin: Ev. Sonnenhof e.V.

Häßler, Frank/Weirich, Steffen/Olaf, Reis (2017): Fetale Alkoholspektrumstörung und Delinquenz. In: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 2017. S. 342-348

Hoff-Emden, Heike (2013): Fetale Alkoholspektrumstörung. Eine interdisziplinäre sozialmedizinische Herausforderung. In Ärzteblatt 2003 S. 386-389

Landgraf, Mirjam N./Hoff, Tanja (2019): Fetale Alkoholspektrumstörungen. Diagnostik, Therapie, Prävention. In: Bilke-Hentsch, O./Gouzoulis-Mayfrank, E./Klein. M (Hrsg.): Sucht: Risiken-Formen-Interventionen. Interdisziplinäre Ansätze von Prävention und Therapie. Stuttgart: Kohlhammer

Liesegang, Jörg. (2020) Exekutivfunktionen aus systemischer Sicht…Träumen erlaubt. In: Michalowski, Gisela, Lepke, Karin & FASD Deutschland e.V. (Hrsg.) 2020. FASD – Träumen erlaubt?! 21. FASD-Fachtagung in Dortmund, 27.-28.09.2019. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag GmbH

Nordhues, Philipp Bernhard Hermann (2013):  Das fetale Alkoholsyndrom: Eine Studie zur Erfassung der Prävalenz bei Pflegekindern. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des doctor medicinae. Münster: Westfälische Wilhelms-Universität

Spohr, Hans-Ludwig (2016): Das Fetale Alkoholsyndrom. Im Kindes und Erwachsenalter 

Ter Horst, Klaus (2015): Kinder mit dem Fetalen Alkoholsyndrom (FASD) in der stationären Jugendhilfe. Online im Internet: https://fasd-fachzentrum.de/wp-content/uploads/ter_Horst_FAS-Kinder_in_der_Jugendhilfe.pdf


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